Folge 29: Warum ich tue, was ich tue
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Was beeinflusst unser Werden? Das ist ein schwieriges Rätsel, das weder ich noch andere auflösen können. Sicherlich sind Gene, Familien- und Lebensbedingungen von großer Bedeutung, aber auch all die Begegnungen im Laufe des Lebens. Auch unsere Werte, Haltungen und Entscheidungen bestimmten unsere Entwicklung. Und dann natürlich auch all die Dinge, die uns einfach widerfahren. Zufall, Vorhersehung, Karma?
Es gibt eine Erfahrung in meinem Leben, die meine Arbeit stärker transformiert hat als alle Seminare und Workshops, die ich besucht habe. Es war 2008 der Tod eines nur 17 Wochen alten Fötus. Lilli, dieses von mir heiß ersehnte Kind, hatte im Bauch meiner Frau aufgehört zu leben, ohne dass es vorher irgendein Zeichen der Gefahr gegeben hätte. Zum damaligen Zeitpunkt glaubte ich mich bereits erfahren in der Begleitung Trauernder und gab dazu regelmäßig Seminare. Der Tod von Lilli traf mich trotzdem völlig unvorbereitet. Ich konnte anfangs meiner Niedergeschlagenheit kaum etwas entgegensetzen. Es hatte nichts zuvor gegeben, was mich ähnlich erschüttert hatte. Meine Frau gebar Lilli. Ihr winziges Körperchen war 3 Tage bei uns. Dann setzten wir sie mit Gebeten in einem kleinen Grab bei. Tage später begann ich über sie zu scheiben.
„Ich schreibe diese Zeilen in der Hoffnung, etwas von Lilli festzuhalten. Auch wenn sie nur so kurz lebte, ist sie Teil von uns. Lilli war all das, was wir mit ihr verbunden haben in den letzten Monaten. Die vielen Gedanken, Gefühle und kleinen Veränderungen, die durch sie in unser Leben gekommen sind. Heute ist plötzlich alles ganz anders. Wir müssen uns daran gewöhnen. Um uns immer an sie zu erinnern, will ich darüber schreiben, was sie für uns war in der kurzen Zeit vor und nach Ihrem Tod.“
Nein, ich habe keine eigene Erfahrung, was es heißt, wenn dir ein Mensch aus der Mitte deines Herzens gerissen wird. Natürlich war der Tod von Lilli, die schon gestorben war, bevor sie reif für das Leben war, für uns schmerzhaft. Aber ich erzähle euch nicht davon, weil dieser Verlust dem euren vergleichbar wäre. Im Gegenteil, von der Zerrüttung eures Lebens waren wir weit entfernt. Wir mussten unser Leben nicht neu erfinden. Das Zentrum unseres Seins blieb unversehrt. Aus Respekt vor euren Schicksal nennen wir Lillis Namen nicht, wenn es um die Zahl unserer Kinder geht. Ihr Tod hat wenig zu tun mit dem, was ihr erlebtet. Er hat uns getroffen, aber nicht umgeworfen.
Noch immer besuchen wir von Zeit zu Zeit Lillis Grab und manchmal lese ich in meinen Erinnerungen, um auf das Vergangene zurückzublicken. Ich spüre heute nur noch selten Schmerz und Bedauern über das, was damals geschah. Ohne Bitterkeit blicke ich zurück. Aber würde ich Lilli und ihre Wirkung auf mich übergehen, hieße das, einen wichtigen Teil meines Weges zu verschweigen. Was ich jetzt bin, bin ich auch durch das, was mir damals geschah. Lilli ist ein stiller Teil von mir geworden. Diese Verwundung hat tiefen Einfluss auf meine Haltung euch gegenüber gehabt. Meine Ehrfurcht vor der Größe dessen, was ihr erleben musstet, entstand damals. Sie prägt bis heute meine Arbeit. Auch meine Haltung gegenüber Leben und Tod hat sich seitdem grundlegend verändert. Lilli war der Anstoß vieler Transformationen meines Weges. Aus meinem Beruf wurde eine Berufung. Das hat viele Türen geöffnet und mich an den Rand eurer Galaxie reisen lassen. Auch wenn wir in verschiedenen Welten leben, hat mir diese Reise Nähe zu euch ermöglicht. Euch zu begegnen, ist heute im Zentrum meines Lebens, denn hier verdichtet sich die Essenz dessen, was für mich Bedeutung hat.
Das ist der Raum unserer Begegnung und dafür danke ich euch.