Folge 28: Freundschaften

 

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Viele deiner Freunde sind eine große Hilfe in der Trauer. Es gibt aber auch einige, von denen du nach deinem Verlust vergeblich Unterstützung erwartet hattest. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Stattdessen gab es Überforderung, Unverständnis, Rückzug und Kränkung. Hattest du dich in den anderen getäuscht? Waren sie in Wirklichkeit gar nicht deine Freunde? Ich denke schon. Ihr wart früher eng verbunden und bedeutetet einander viel. Was auch immer die spezielle Kraft eurer Beziehung ausmachte, sie war lebendig und beruhte auf Gegenseitigkeit. Aber dann kam der Schrecken über dich und der Tod hielt Einzug bei dir. Das änderte alles. Natürlich waren viele schockiert und zeigten Anteilnahme. Aber schon damals war die Größe deines Verlusts für manche eine Überforderung. Allein das Hinsehen schmerzte so sehr, dass sich einige, von denen du Hilfe erhofft hattest, abwenden mussten. Sie kannten die verstorbene Person, sie waren näher am Geschehen als viele andere, und trotzdem war es für sie schwer, dich und deinen Schmerz auszuhalten. Wenn ihr euch traft, waren sie befangen und wagten nicht nach deinen Gefühlen zu fragen. Sie hatten Angst, es falsch zu machen und inmitten dieser Angst machten sie tatsächlich vieles falsch. Statt die Verunsicherung zuzugeben, neigten sie dazu, die völlig veränderte Situation zu ignorieren. Als wäre im Grunde alles wie immer. „Hallo, wie geht’s dir? Auch noch schnell beim Einkaufen?“

Eine ganze Zeit hieltet ihr durch und gabt den Kontakt nicht auf, aber irgendwann wusstet ihr einfach nicht mehr weiter. Früher hattet ihr enge Bezugspunkte. Ob das gemeinsame Interessen und Aktivitäten waren, oder Gespräche über Gott und die Welt. Es war ein Leichtes gewesen, sich aufeinander einzuschwingen. Jetzt waren Gespräche über Literatur, Kinder oder wunderbare Landschaften in den Alpen schwierig bis unmöglich. Denn es gab ein alles dominierendes Thema, über das dennoch geschwiegen wurde: dein geliebter Mensch war gestorben. Du warst enttäuscht über die kühle Beiläufigkeit mancher Begegnung und konntest dir diese Reaktion einfach nicht erklären. Wenn du nicht so sehr in deiner Verwundung gefangen gewesen wärst, hättest du die andere Person am liebsten geschüttelt und ihr zugerufen: „Frag mich doch endlich, wie es mir wirklich geht!“

Du hast sie nicht geschüttelt und sie haben dich nicht gefragt. Nicht, dass es sie kalt gelassen hätte. Nein, aber sie hatten so große Angst vor deinem Schmerz und deiner Untröstlichkeit, dass sie nicht wagten direkt zu fragen. Sie meinten, es sei besser, dich nicht aufzuwühlen und mieden es, vom Schweren zu sprechen. Auch sie merkten, dass die Begegnungen nicht gut waren, aber sie wussten nicht warum. Sie glaubten, es läge daran, dass du dich von dem Verlust zu sehr in die Tiefe hast ziehen lassen. Und sie hatten den großen Wunsch, dass du doch bitte wieder so werden würdest, wie vor dem Verlust. Der vertraute Mensch von früher, mit dem man so wunderbar Zeit verbringen konnte. Sie wollten mit dir so gerne in ein schönes, vertrautes und harmonisches Leben zurückkehren.

Aber eine Rückkehr ist nicht möglich. Für dich gibt es ein Davor und Danach. Du wirst nie wieder der Mensch sein, der du vor dem Verlust warst. Im Gegenteil ist es deine Aufgabe in der Trauer, herauszufinden, was du noch bist und was nicht, um dann in das Neue immer mehr hineinzuwachsen. Natürlich soll dein Leben auch in Zukunft ein gutes werden, mit Freude und Qualität, mit Freundschaft und Verbundenheit. Aber du wirst trotzdem nie mehr die Person sein, die du vor deinem Verlust warst. Manche Freunde bleiben in der Trauer eng an deiner Seite, manche wirst du verlieren. Andere, von denen du es nie erwartet hättest, werden neue Freunde.

Heiße sie in deinem Leben willkommen.

 
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Folge 27: Dankbarkeit