Folge 44: Verlust aus Sicht der Kinder
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Wenn ein Kind von dir gestorben ist oder dein Partner, dann ist es normal, dass du nicht nur mit deinem eigenen Schmerz kämpfst, sondern du dir auch Sorgen um deine lebenden Kinder machst. Wie geht es Ihnen? Wie kommen sie mit dem Verlust zurecht? Welche Hilfe kannst du Ihnen geben? Brauchen sie professionelle Unterstützung? Du erzählst mir deine Sorgen und bittest mich um meine Einschätzung. Ist dein Kind traumatisiert?
Natürlich verändert der Verlust auch das Leben deines Kindes. Aber verwechsle nicht deinen Verlust mit dem deines Kindes. Wenn du ein Kind verloren hast, haben deine lebenden Kinder ein Geschwister verloren. Wenn du deinen Partner verloren hast, haben sie ein Elternteil verloren. Ein Kind zu verlieren ist etwas fundamental anderes als ein Geschwister. Den Partner zu verlieren ist ebenfalls etwas völlig anderes als Vater oder Mutter. Für dein Kind trägst du Verantwortung, du bist sein Beschützer, Förderer und Leuchtturm. Dein Kind vervollständigt dein Leben, es verleiht dir Sinn und Bedeutung. Unser Geschwister dagegen ist in unserem Leben eine mehr oder weniger wichtige Person, manchmal enger Gefährte, manchmal auch Rivale. Die geschwisterliche Beziehung ist von Grund auf anders als die Eltern-Kind-Beziehung. Daher ist hier auch der Verlust von Grund auf anders. Das gleiche gilt für die Beziehung innerhalb einer Partnerschaft im Vergleich zu einer Eltern-Kind-Beziehung. Dein verstorbener Partner war der Mensch, in den du dich verliebt hast, mit dem du dein Leben verbringen wolltest. Mit ihm gemeinsam hast du dein Leben geplant und entwickelt. Er trug zusammen mit dir Verantwortung. Vater oder Mutter sind dagegen im Leben des Kindes einfach da. Sie sind für das Kind da, nicht umgekehrt. Sie geben Schutz und Orientierung. Wenn einer von beiden stirbt, gibt es noch den anderen Elternteil, der weiterhin für Sicherheit und Orientierung sorgen kann.
Daher ist die Verlustsituation für das überlebende Kind eine ganz andere als für dich. Kinder trauern dabei nicht nur um den Verlust dieser einen Person. Sie trauern auch um den Verlust der alten Struktur. Wenn der Tod in deine Familie gekommen ist, seid ihr alle nicht mehr die gleichen wie vorher. Wenn in einem sorgsam austarierten Mobile ein Faden abgeschnitten wird, gerät alles durcheinander. Egal ob ein Elternteil oder Geschwister stirbt, die alte Ordnung fliegt auseinander. Darum betrauert das Kind auch, dass die Familie nicht mehr die Gleiche ist wie vorher. Dein Kind trauert auch um dich, um die Person, die du vor dem Verlust gewesen bist. Und natürlich spielen auch viele weitere Faktoren eine wichtige Rolle. Wie genau sah die Beziehung zum Verstorbenen aus, wie alt ist das Kind, wie war die genaue Familienkonstellation, welche Ressourcen sind vorhanden? All das ist wichtig dafür, auf welche Art die Trauer sich entwickeln wird.
Wie also kannst du mit deinem lebenden Kind umgehen? Ermögliche ihm, über seine Gefühle und Gedanken zu sprechen, wenn es das möchte. Das wird dein Kind meist nur tun, wenn es dich als halbwegs gefestigt wahrnimmt. Wenn es dich immer nur unglücklich erlebt, wird es vom eigenen Schmerz kaum etwas erzählen. Versuche für dein Kind weiterhin ein stabiler Orientierungspunkt zu sein. Es tut ihm gut, zu wissen, dass du für es da bist. Ermögliche ihm Normalität. Natürlich darf es einfach wieder Kind sein, mit Freunden spielen, in die Schule gehen und Freude empfinden. Und es muss nicht über seine Empfindungen sprechen. Viele Kinder werden sehr einsilbig, wenn sie aufgefordert werden, über ihre Trauer zu sprechen. Wenn dein Kind schweigt, dann mach ihm kein schlechtes Gewissen. Du kannst Angebote machen, wie z.B. Trauergruppen speziell für Kinder. Aber es kann sein, dass dein Kind das ablehnt. Wenn dem so ist, dann versuche das zu akzeptieren und sprich es ihm gegenüber aus. Jedes Kind wünscht sich starke Eltern. Was deinem Kind daher oft besonders hilft ist, wenn es spürt, dass es dir besser geht.
Lasse wieder Freude in dein Leben kommen, damit hilfst du deinem Kind am meisten.