Folge 42: Trauer und Heiterkeit

 

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Wer lacht, lebt gesünder. Beim Lachen werden Atmung, Blutfluss und Immunsystem angeregt. Der Volksmund sagt: Lachen ist die beste Medizin. Humor ist eine Grundhaltung gegenüber dem Dasein, und Lachen eine zentrale emotionale Antwort auf Situationen, in denen wir uns wohlfühlen und Freude empfinden. Im Lachen liegen Gegenwärtigkeit und Hingabe. Kurz und gut: Lachen ist wichtig; es ist zugleich Quelle wie Ausdruck unserer Vitalität und Lebensfreude. Schon im Babyalter lernen wir das Lachen, ahmen unsere Mitwelt nach und bringen andere ebenfalls zum Lachen. Miteinander über etwas zu lachen bedeutet, Verbundenheit zu erleben. Über sich selbst lachen zu können, ist Ausdruck von Selbstsicherheit und Gelassenheit.

Das alles galt früher auch für dich. Es gab vieles, worüber du gemeinsam mit anderen lachen konntest. Nach deinem Verlust ist das erst einmal vorbei. Dir ist ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Deine Dünnhäutigkeit und Schreckhaftigkeit lassen jedes laute Geräusch zur Bedrohung werden. Lautes, schallendes Gelächter ist unerträglich – eine Verhöhnung deiner Not. Dabei lacht ja niemand über dich, sondern die Menschen am Nebentisch oder im Büro lachen eben ganz unbefangen über irgendeine Banalität. Gerade dieses Lachen lässt dich umso deutlicher spüren, dass du nicht mehr Teil der naiven Geselligkeit deiner Mitwelt bist. Denn in dir herrschen Dunkelheit und Kummer. All das steht in so starkem Kontrast zum belanglosen Gelächter deiner Umgebung, als lebtet ihr in getrennten Welten.

Wenn du zu mir kommst, dann sicher nicht, um mal wieder herzlich zu lachen. Du kommst, weil es dir wichtig ist, die verwirrenden Zustände, Gedanken und Gefühle deiner Trauer mit jemandem zu teilen. Oft weinst du und vertraust mir deinen Schmerz und Kummer an. Und andererseits entstehen in unseren Gesprächen immer wieder Momente, in denen wir lachen. Schon beim Betreten meiner Praxis kann es geschehen, dass du mir etwas Launiges zurufst. Du bist hier der Boss: Es ist deine Therapiestunde, und du hast das Recht auf jede Form von schwarzem Humor. Diese Momente entstehen oft ganz von selbst, ohne mein Zutun. Gerade noch erzähltest du mir ein Detail deiner Verwundung, und inmitten dieser Düsterheit passiert es dann nicht selten, dass irgendein komisches Detail in den Vordergrund drängt. Und inmitten deiner Tränen beginnst du zu lachen – und ich lache mit.

Der Polizist, der damals bei dir klingelte, um dir die Todesnachricht zu überbringen, hieß Hauptkommissar Wurst. Ist das lustig? Nicht wirklich. Ich frage nach: „Hauptkommissar Wurst?“ – „Ja“, antwortest du. Und plötzlich lachen wir beide. Dieses Lachen tut uns gut; es wirkt fast surreal angesichts des schrecklichen Moments, über den wir sprechen. Doch unser gemeinsames Lachen erlaubt uns einen Moment des Durchatmens und schafft eine besondere Art von Komplizenschaft zwischen uns. Wir wissen beide, dass der Name des Kommissars letztlich unwichtig ist – dennoch nehmen wir dieses Detail dankbar zur Kenntnis und finden darin einen kleinen Lichtblick im Schatten der Trauer. Versuchen wir etwa, der Schwere und Unerbittlichkeit der Situation auszuweichen? Gewiss tun wir das. Aber wenn man den Dschungel der Trauer erkunden will, ist es hilfreich, viele Wege zu erproben. Säßen wir beide immer nur ernst und bedrückt voreinander, würden wir in eine Sackgasse geraten. Es ist manchmal die Erfahrung der Heiterkeit inmitten des Schrecklichen, die uns das Weitergehen ermöglicht und uns eine neue Erfahrung unserer eigenen Lebendigkeit eröffnet.

Wenn wir uns gemeinsam in größerer Runde sehen, ist immer euer Verlust der Hintergrund, der die Gemeinschaft stiftet. Andererseits sind gerade diese Treffen stets von viel Humor begleitet. Für Außenstehende ist das manchmal bizarr und unverständlich – wie in diesem Kontext solche Heiterkeit möglich ist. Als ich mit euch nach einem bewegenden Trauerseminar abends bei einem Glas Bier zusammensitze, fragt uns jemand vom Nebentisch, was wir für eine lustige Runde seien. Wir verstummen, ihr zögert und blickt auf mich. „Sie möchten wirklich wissen, wer wir sind?“, sage ich. „Das hier sind alles Menschen, deren Kinder gestorben sind.“ Die andere Person läuft rot an, wirkt schockiert und ringt um Worte. „Ach ja, das ist schlimm. Ganz schlimm. Ich weiß, wie das ist. Mein Kind ist auch schon mal fast gestorben“, beteuert sie. Es folgt eine unangenehme Stille – und dann antwortet einer von euch ganz ruhig: „Aber nur fast!“, woraufhin ihr alle in langes, schallendes Gelächter ausbrecht. Die fremde Person entfernt sich, und ihr habt vor Lachen buchstäblich Tränen in den Augen. Da bin ich stolz auf euch. Was für eine Schlagfertigkeit!

Heiterkeit tut so gut – sogar in der Trauer.

 
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Folge 41: Der Schmerz der Mütter