Folge 49: Mein Weg zur Trauerbegleitung

 

Hören

 

Für viele wäre das ein befremdlicher Job: hauptberuflich mit Menschen zu sprechen, die schreckliche Verluste erfahren mussten. Wie kam es dazu kam?

Es ereignete sich einfach, ich hatte das nie geplant. Es war das Resultat von vielen Begegnungen und Erfahrungen. Tod und Verlust spielen in meiner Herkunftsfamilie eine wichtige Rolle. Es war aber auch Resultat von sogenannten Zufällen: zufällig war mein Zivildienst auf einer Krebsstation, zufällig machte ich während meines Studiums ein viermonatiges Praktikum in der Sterbebegleitung. Zufällig bot man mir einen Job im „Kompetenznetz Depression, Suizidalität“ an. Zufällig begegnete mir Freya von Stülpnagel, die mich für die Arbeit mit verwaisten Eltern gewann. Kurz und gut: es war alles Fügung.

Irgendwann kamen dann die ersten Hinterbliebenen nach dem Verlust eines Kindes zu mir. Anfangs war ich von der Thematik genauso überfordert wie alle, denen plötzlich Menschen nach Verlust gegenübersitzen. Ich hatte jahrelang keine Ahnung, wie ich euch helfen könnte. Eure Hoffnungslosigkeit machte mich oft ratlos. Eurer Leben erschien oft so zerstört und qualvoll, dass auch ich mir nicht vorstellen konnte, dass das jemals anders werden könnte. Aber ihr habt nicht aufgehört, zu mir zu kommen und ich war bereit, euch trotz meiner eigenen Hilflosigkeit über Jahre zuzuhören. Manchmal haben wir uns einfach gegenseitig ausgehalten. Ich glaubte anfangs, ich müsste eure Not lindern, aber ihr wusstet wohl schon von Beginn an, dass es nicht meine Aufgabe war, euch zu heilen. Ich tat euch gut und das reichte in der Zeit der Trauer, in der es nicht viel gab, was gut tat. Ich konnte viel von euch lernen und ihr wart geduldig mit mir. Und ich war geduldig mit euch.

In dieser Begegnung mit Trauernden entwickelte sich also mit der Zeit etwas, das gut und hilfreich war. Und schließlich wurde mir klar, dass das mein Beruf war. Das ist umso erstaunlicher, als ich keine Ausbildung in diesem Bereich absolviert hatte, weder als Trauerbegleiter noch als Traumatherapeut. Ich hatte jahrelang mit psychisch gestörten Menschen gearbeitet, darin hatte ich Erfahrung. Und dann begegnete ich euch, aber ihr wart nicht psychisch gestört. Ihr wart getroffen von einem entsetzlichen Verlust und reagiertet so, wie gesunde Menschen es eben tun, wenn sie jemanden verlieren, den sie sehr lieben.

Je länger ich mit Menschen nach Verlust arbeitete, desto erstaunlicher waren die Entwicklungen, die ich bei euch erleben durfte. Manchmal schien es über lange Zeit so, als würde sich nichts verändern, als wäre alles festgefroren. Aber dann kamen doch Weiterentwicklung und Veränderung, manchmal wie aus dem Nichts. Ihr seid nicht einfach stehengeblieben und im Schmerz erstarrt. Letztlich habt ihr mir beigebracht, dass es möglich ist, sein Leben auch nach einem schweren Verlust wieder so zu gestalten, dass Freude und manchmal sogar Glück fühlbar sind. Das heißt nicht, dass die Wunde nicht mehr schmerzen würde. Aber es ist doch möglich, irgendwann wieder zu sagen: ich lebe gerne.

Die Arbeit mit euch ist nicht vergleichbar mit anderer therapeutischer Tätigkeit. Die Begegnungen mit euch sind so intensiv und besonders, dass jede und jeder eine Spur in mir hinterlassen hat. Diese Erfahrungen mit euch haben auch dazu geführt, dass ich mich verändert habe. Ich blicke heute anders auf das Leben und den Tod als früher. Mein Leben ist durch euch essenzieller geworden. Deshalb habe ich mit einigen von euch VIVAS e.V. gegründet. Es ist der Versuch einer Antwort auf die Isolation durch den Verlust. VIVAS ist eine Gemeinschaft der Verwundeten. Niemals wolltest du zu ihr gehören, aber jetzt, wo du Teil geworden bist, kann VIVAS wertvolle Hilfe sein und du wirst zur Hilfe für andere.

VIVAS ist für dich da.

 
Weiter
Weiter

Folge 48: Wandern zwischen den Welten