Folge 37: Growing around Grief

 

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Wer vom Verlust eines geliebten Menschen getroffen wird, erlebt sich oft als entwurzelt, zerstört und der Zukunft beraubt. Schmerz und Sehnsucht scheinen alles andere in den Hintergrund zu drängen. War das Leben vorher eine bunte Wiese, so scheint nun plötzlich alles grau und vom Verlust dominiert. „Meine Trauer ist übermächtig, sie wird nie aufhören!“ Das ist ein Empfinden, das viele nach dem Tod eines geliebten Menschen haben. Damit stehen sie in einem gewissen Kontrast zu dem, was Trauerforscher behaupten. Deren Theorien befassen sich mit der Frage, wie Trauer in der Regel verläuft. Die meisten Modelle postulierten Phasen oder Entwicklungsprozesse, die optimalerweise darin münden, dass die Trauer irgendwann abnimmt oder gar verschwindet.

Tatsächlich berichten viele Menschen nach einer Zeit intensiver Trauer von Verbesserungen in ihrem Leben. War anfangs alles nur Qual und Schmerz, so erleben viele nach einiger Zeit wieder positive Momente oder sogar Freude, was lange nicht vorstellbar war. Aber ist damit die Trauer wirklich kleiner geworden?

Es war die neuseeländische Trauerbegleiterin Lois Tonkin, die vor Jahren ein Modell formulierte, das Trauer in einen neuen Bezugsrahmen setzt. Tonkin nannte es „growing around grief“, was sich übersetzen lässt mit „um die Trauer drum herum wachsen“. Tonkin geht davon aus, dass die Größe der Trauer auch über die Jahre nicht abnimmt. Der Verlust selbst und die damit verbundene Trauer bleiben immer gleich groß und schmelzen mit der Zeit nicht einfach ab. Entscheidend für die weitere Entwicklung des trauernden Menschen sei vielmehr, ob es ihm gelingt, trotz des Verlusts weiter zu wachsen, und neue Erfahrungen zuzulassen.

Dieses Modell der Trauer entspricht oftmals viel besser dem, wie Trauernde ihren Verlust erleben. Sie wehren sich zurecht gegen die Erwartung der anderen, dass die Trauer doch endlich abnehmen müsste. Andererseits lässt dieses Modell viel Raum für Entwicklung. Um die Trauer herum kann neues Erleben und Bewusstsein wachsen. Dein Verlust selbst bleibt dabei immer gleich, der Kontext aber verändert sich mit der Zeit und so auch indirekt deine Trauer. Außen herum können sich neue Triebe und Knospen des Lebens entwickeln. Werden sie gehegt, entsteht daraus neues Leben: Begegnungen, Freundschaften, Erfahrungen, Liebe, Freude. All das ist möglich trotz der überdauernden Größe des erlittenen Verlusts.

Es erfordert aber deine Bereitschaft, dass Neues im Leben entstehen darf. Es erfordert den Mut, Dinge auszuprobieren und dabei manchmal auch zu scheitern. Er erfordert vor allem Geduld und Offenheit, auf andere Menschen zuzugehen und mit ihnen zu teilen. Es ist letztlich eine Suche nach Qualität, die sehr präzise das beschreibt, was die Grundidee von VIVAS ist: du darfst leben, trotz der Endgültigkeit und Größe deines Verlusts. Du sollst nicht erstarren, sondern in Bewegung bleiben, das Leben aktiv gestalten und dich bewusst dem Guten zuwenden.

Wenn du genau auf dich achtest, dann merkst du, dass du schon längst damit begonnen hast, zu wachsen. Du erkennst es, wenn du mit dem frischen Verlust anderer konfrontiert bist und dich erinnerst, wie es damals bei dir war. Dass du nicht stehen geblieben bist damals, sondern seitdem tausend kleine Schritte getan hast. Schon jetzt bist du mitten in deiner Entwicklung. Im Wachsen um deine Wunde, die immer bleiben wird.

Growing around grief.

 
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