Folge 47: Erschöpfung und Müdigkeit

 

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Menschen in Trauer machen unterschiedlichste Erfahrungen, eines aber scheinen fast alle zu erleben: sie sind oft über weite Phasen müde und erschöpft. Sie berichten, dass sie sich im Grunde immer ausgelaugt und kraftlos fühlen, obwohl sie oft kaum aktiv sind. Vielleicht kennst auch du diesen Zustand oder hast ihn in früheren Zeiten deines Trauerwegs erlebt: sogar wenn du gar nicht viel unternommen und nur das Notwendigste erledigt hast, fühlst du dich wie nach einer gewaltigen Kraftanstrengung. Wie lässt sich das erklären?

Denke zurück: Der Schock des plötzlichen Verlusts hat sich damals so tief in dir verankert, alles schlug Alarm. Dein Herz pochte schneller, dein Atem beschleunigte sich, und dein Geist suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser ausweglosen Situation. Diese körperliche Reaktion auf akute Traumatisierung ist äußerst anstrengend. Du warst in ständiger Anspannung angesichts der überwältigenden Bedrohung deines Lebens. Du hast inständig gehofft, dass es sich nur um einen Albtraum handelt, dass es nicht wahr ist und du bald aus diesem unvorstellbaren Schrecken erwachen könntest. Doch schmerzhaft musstest du lernen, dass es kein Erwachen gibt und kein Zurück zur früheren Realität. Es ist endgültig und unumkehrbar. Diese Erkenntnis gehört zu den unerträglichsten Erfahrungen auf dem Trauerweg – niederschmetternd und entmutigend zugleich.

Zudem ist sie körperlich unendlich anstrengend, denn dein Körper findet lange Zeit keine Ruhe. Du sehnst dich nach Entspannung, bist jedoch innerlich aufgewühlt. Erschöpft liegst du im Bett und findest dennoch keinen Schlaf. Etwas in dir hält dich ständig in Bewegung. Du bist schreckhaft und zuckst zusammen, wenn das Telefon läutet; die Daueranspannung ist allgegenwärtig. 

Natürlich weißt du, dass es dir guttäte, auszuruhen, doch es gelingt dir nicht mehr wie früher. Das liegt daran, dass dein Leben sich grundlegend verändert hat. Jeden Morgen erschrickst du aufs Neue bei der Erkenntnis, dass es immer noch wahr ist: Dein geliebter Mensch ist wirklich gestorben. Du stehst auf und versuchst, dich mit den tausend kleinen Alltagsdingen auseinanderzusetzen: Duschen, Haare kämmen, Anziehen, Frühstücken, Saubermachen, Zähneputzen, das Haus verlassen, Autofahren und so weiter. Diese einst banalen Gewohnheiten waren Teil deines Lebens; du weißt noch genau, wie man sie ausführt, doch sie erscheinen dir jetzt fremd. Dieses neue Leben ist dir nicht mehr vertraut, und auch du selbst bist dir fremd geworden.

Wer bist du jetzt nach all dem? Früher hast du die vielen kleinen Rituale des Lebens beiläufig und fast automatisch vollzogen – ohne größere Anstrengung. Doch jetzt erfordern selbst die kleinsten Tätigkeiten einen Anschub und eine Kraftanstrengung, die du zuvor nicht gekannt hast. Von außen betrachtet mag alles normal wirken, aber du spürst den enormen Aufwand, den es kostet, dich in Bewegung zu setzen und deine Lähmung zu überwinden. Und tief in deinem Innern nagen immer wieder Zweifel: Wozu tust du all das? Die anderen bemerken oft nicht, wie viel Mühe dir das abverlangt. Im Gegenteil, sie freuen sich, dich beschäftigt zu sehen und interpretieren es als Zeichen von Normalisierung und Besserung. Du bist wieder aktiv – bravo!

Während dich aber früher die kleinen Gewohnheiten des Lebens erfrischten und Freude ein alltäglicher Wegweiser des Handels war, bist du jetzt müde und zutiefst verunsichert im Chaos deines neuen Lebens. Es erfordert Geduld. Erst nach einiger Zeit kann sich dieser Zustand wandeln. Ruhe wird erst dann in dein neues Leben einkehren, wenn du beginnst, dich darin heimisch zu fühlen. Doch dafür musst du aktiv werden! Du musst aufstehen – für dich und dein Leben. Ja, es ist schwierig und dauert oft lange, aber es ist möglich! Wenn du die Erfahrung machst, dass das Leben weiterhin viele Möglichkeiten für Freude und sogar Glück bereithält, wird sich auch dein körperliches Empfinden transformieren. Anfangs erscheint dir das fast unmöglich, aber ich habe diese Veränderung bei so vielen Menschen miterleben dürfen, dass ich dir Mut machen kann. Viele erfahren nach einem extremen Verlustereignis später wieder Lebensqualität, Genuss und Dankbarkeit. Und damit verbunden kehren auch die Kräfte des Lebens in deinen Körper zurück.

Get up, stand up, stand up for your life.

 
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Folge 46: Die Geschichte von VIVAS