Folge 17: Die Zukunft neu erfinden
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Zu Beginn, kurz nach dem Verlust, haben einige Menschen das Gefühl einer unfassbaren Verbundenheit mit der verstorbenen Person. Vielleicht liegt es daran, dass sie durch ihr Sterben und all die damit einhergehenden Details ganz ins Zentrum deines Erlebens rückt. Ständig denkst du an sie, sie ist in dir, manche berichten vom Gefühl absoluter Nähe. Als könntest du sie spüren und weiterhin einfach in dein Leben mitnehmen. Als wäre ihr Tod nur eine Nebensache, die dich im Grunde nicht daran hindert, in vollkommener Verbundenheit zu bleiben.
So ergreifend diese Erfahrung auch sein mag, bleibt sie doch nicht überdauernd. Mit der Zeit transformiert sich die Beziehung zum Verstorbenen und damit auch die Perspektive auf die Zukunft. Du hattest mal eine Idee, wie deine Zukunft aussehen sollte. Nicht dass du das im Detail geplant hattest, aber es war jedenfalls eine Zukunft, in der der verstorbene Mensch eine Rolle gespielt hätte. Oft machen wir uns keine so klare Vorstellung darüber, was genau wir eigentlich von den kommenden Jahren und Jahrzehnten erwarten, aber wenn dann etwas eintritt, das alles über den Haufen wirft, merkst du erst, wie sehr du im Grunde damit gerechnet hattest, dass die geliebte Person einfach da ist als lebendiger Teil deines Lebens.
Jetzt ist sie fort und du merkst, dass du sie nicht festhalten kannst. Ein Teil von ihr geht dir verloren. Ihr Fortsein wird drückender und damit auch das Vermissen. Sie ist einfach nicht mehr da. Sie wird mit dir keinen Urlaub mehr machen, sie besucht dich nicht an deinen Geburtstagen, sie schenkt dir keine Enkelkinder und sie wird nicht an deinem Bett sitzen, wenn du alt und krank bist. Sie wird dich auch nicht beerben, wenn du verstorben bist. Deine Zukunft wird anders. Anders als du es dir gedacht hattest und du weißt nicht, wie jetzt noch eine gute Zukunft aussehen könnte. Im Gegenteil erscheint dir jede Zukunft trist und hoffnungslos, denn sie schließt den verstorbenen Menschen aus. Zukunft heißt jetzt, ohne ihn leben zu lernen.
Natürlich darfst du deine Verbundenheit pflegen, deine Rituale der Liebe und deine Zeichen setzen, dass du nicht vergessen hast. Trotzdem ändert sich dein Leben tiefgreifend. Das gilt besonders dann, wenn ihr beide täglich miteinander verbunden wart, wenn die verstorbene Person Teil deines Alltags gewesen ist. Denn dann musst du vieles von Grund auf umlernen. Wie du den Tag beginnst und abschließt, mit wem du Gespräche führst, wen du berührst, wer dir wichtig ist. Je zentraler die Person für deine Gegenwart war, um so größer wird die Aufgabe, das Leben jetzt neu zu definieren.
Du musst deine Zukunft neu denken lernen, sonst bist du verloren. Manchmal schlage ich dir vor, dir vorzustellen, was die verstorbene Person dir jetzt raten würde. Ich bitte dich, in dich reinzuhören und wach für das Echo zu sein. Und dann ist oft eine klare Botschaft vernehmbar: Du darfst und sollst dich trauen zu leben, mutig an einer Zukunft zu bauen, dich tragen zu lassen von der Kraft des Seins. Das klingt gut, ist aber gar nicht einfach, denn das Vermissen ist über lange Zeit die einzig verlässlich wiederkehrende Empfindung. Habe Geduld mit dir, deine Zukunft ist in dir und sie hat schon begonnen. Und auch wenn alles in Veränderung ist, triffst du bei allem doch immer wieder auf dich. Und auch auf den geliebten verstorbenen Menschen, der nicht aufhört in dir zu sein.
Sei mutig und geh weiter.