Folge 21: Angst vor dem Tod

 

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Wenn hinter dir ein lauter Knall ertönt, schreckst du zusammen, ob du willst oder nicht. Das ist keine Frage von Einstellungen oder Überzeugungen, sondern eine biologisch verankerte körperliche Reaktion, die sich deiner bemächtigt, wenn dein Nervensystem Gefahr wahrnimmt. Die Angst ist eine archaische Größe, die tief in uns wohnt. Angst ist eine Erfahrung, die uns seit frühester Kindheit begleitet und sie ist fest verankert in unserer DNA. Ängste sind dabei oft nicht rational begründet, trotzdem sind sie da und wirken auf uns. Vielleicht erinnerst du dich an deine Ängste als Kind. Die Angst vor der Dunkelheit, vor dem Alleinsein, die Angst vor Fremden, vor Tieren. Vor den Ungeheuern unter deinem Bett oder den Spinnen im Kleiderschrank. Mit der Distanz des Erwachsenseins muten diese Ängste naiv und unnötig an, damals, erinnere dich, waren sie groß und wahr.

Ängste haben eine wichtige lebenserhaltende Funktion. Sie schützen dich davor, in riskante und bedrohliche Situationen zu geraten. Die Dunkelheit war seit jeher gefährlicher als der helle Tag, daher ist Nachtangst allzu verständlich. Auch Höhenangst oder die Angst vor Schlangen bewahrten Menschen vor Leichtsinn. Im Laufe unseres Lebens wandeln sich die Ängste. Die Ungeheuer unter dem Bett weichen in der Pubertät der Furcht, nicht dazuzugehören, hässlich zu sein, abgelehnt zu werden. Auch Verlustängste oder die Furcht vor Krankheiten können uns in Schach halten. Viele Menschen fürchten sich auch vor der Zukunft. Sie haben Angst vor einer Klimakatastrophe, vor Krieg und Armut oder vor dem Altwerden. Wenn wir im Leben negative Erfahrungen machen, kann das großen Einfluss auf unsere Ängste haben. Wer Opfer eines Wohnungseinbruchs wurde, tut sich schwer, sich zukünftig ohne zusätzliche Maßnahmen sicher zu fühlen. Aber auch ohne solche Szenarien gibt es im Laufe des Lebens immer wieder neue Themen, die uns beunruhigen.

Letztlich steckt hinter all diesen Ängsten eine zentrale Furcht, die wir zumeist verdrängen: Es ist die Angst vor unserer Vernichtung, eine tiefe Todesangst. Auch in dir wohnt sie seit jeher und begleitet dich durchs Leben. Sehr oft sind wir uns dieser Ängste nicht bewusst. Lieber reden wir uns ein, dass unser Leben sicher ist, wenn wir nur einigermaßen vorsichtig sind. Der Tod ist in unserem modernen Leben nicht mehr Teil unserer natürlichen Erfahrungswelt. Wir schieben ihn beiseite und wähnen uns in Sicherheit. Wir schließen Versicherungen ab und planen für die Zukunft, als hätten wir und unsere Kinder ein natürliches Anrecht auf ein langes Leben. Wir sehen das Sterben der anderen aus großer Ferne, es beunruhigt uns, aber, so reden wir uns ein, es hat nichts mit uns zu tun. Im Grunde leben wir so, als würden wir immer da sein, auch wenn wir wissen, dass unser eigener Tod das einzig gewisse ist. Wir sind Meister des Fortschauens.

Beim Tod deines geliebten Menschen hat sich diese Illusion mit einem Schlag aufgelöst. Es ist das geschehen, was niemals hätte geschehen dürfen. Ein unfassbarer Schrecken ist in dich gefahren und du warst ihm wehrlos ausgeliefert. Es war die Konfrontation mit dem Tod. Es gab nichts, was du tun konntest, um ihn abzuwenden. Damit wurde eine Tür aufgestoßen, die bis dahin verschlossen war: Die Erfahrung deiner absoluten Verletzbarkeit. Du kannst jederzeit alles verlieren, deine Kinder, deinen Partner, dein Leben. Es gibt keine Sicherheit. Es ist eine Konfrontation mit deiner eigenen Sterblichkeit. Während die Welt um dich fleißig an der Zukunft baut, stehst du vor den Scherben deines Lebensplans. Wie wirst du jetzt dein Leben weiterführen? Jetzt, wo nichts mehr ist wie früher?

Lasse dir Zeit mit der Antwort.

 
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