Folge 33: Die Rückkehr in die Ruhe des Lebens
Hören
Was ist ein gutes Leben? Wenn du tüchtig und fleißig bist? Wenn du ein tugendhaftes Leben führst? Oder eines, bei dem du Macht in Händen hältst und Reichtum anhäufst? Oder vielleicht einfach ein langes Leben? Blicken wir auf unsere Vorfahren aus der Frühzeit der Menschheit, dann vermuten wir bei ihnen ein Leben, das relativ einfach und unaufgeregt war. Als nomadischer Wildbeuter folgte man der Natur, ernährte sich von Früchten und Wurzeln, und erlegte ab und zu ein Tier, um den Hunger zu stillen. Es gab keinen Besitz und keine Fürstentümer, Macht war sehr begrenzt und der frühe Mensch lag wahrscheinlich viel auf der faulen Haut und tat nichts. Wozu auch, es war ja in der Natur alles da, was man brauchte. Sicher gab es hier und da Rangkämpfe und man paarte sich und bekam Nachwuchs. Aber insgesamt war es vermutlich recht gemächlich. Wenn wir heute freilebende Gorillas beobachten, dann sehen wir genau so einen Grundrhythmus aus Ruhe, Müßiggang und unaufgeregter Nahrungssuche.
Wir modernen Menschen haben gelernt, dass wir Ziele im Leben brauchen. Wir wollen etwas bewirken, streben nach Geld und Reichtum, nach Macht und Ansehen. Wir rackern uns ziemlich ab und oft bereitet das nicht mal besondere Freude. Ich beneide die Gorillas in ihrer Genügsamkeit und Gegenwärtigkeit. Deren Leben wirkt auf mich gut und wenn wir ehrlich sind, dann sehnen wir uns immer wieder nach dieser Einfachheit des Lebens. Jenseits von Arbeit und Pflichten suchen wir im „Feierabend“ oder Urlaub genau diese Qualitäten: Ruhe, Nichtstun, faule Geselligkeit, Rumliegen, Essen, sich gegenseitig Geschichten Erzählen, sich Lieben. Auch wenn wir sonst fleißig sind, liegt in dieser bedeutungslosen Schlichtheit für viele doch etwas Angenehmes und Erstrebenswertes. Auch bei dir war das so, damals, als deine Welt noch unverwundet war. Der gute Moment, war der, wo du die Arbeit beiseite legtest, wo du am Freitagabend in ruhiger Vorfreude das Wochenende begrüßtest.
Diese Situation hat sich für dich schlagartig verändert, als der Verlust in dein Leben trat. Bei manchen war das der Moment der Diagnosestellung, bei anderen der Tag, an dem der geliebte Mensch starb. Du selbst weißt, was der Augenblick war, in dem du aus der Ruhe deines Lebens herausgeschleudert wurdest. Es war der Moment der Verwundung deiner Seele. Nun warst du plötzlich inmitten von Schreckhaftigkeit, Aufregung und Sorge, die dein vorheriges Leben wie ein reißender Fluss forttrugen. Es gab nicht mehr die angenehme Trägheit eines ruhigen Wochenendes. Was damals geschah, war das Gegenteil von gemächlich und bedeutungslos. Das Sterben und der Tod deines geliebten Menschen waren von existentieller Wichtigkeit und Größe. Bei allem Schmerz und Kummer war er voller Bedeutung, größer als fast alles andere, das sich je in deinem Leben ereignet hatte. Dass das Schreckliche so groß ist, ja sogar heilig, gehört zu den schwer zu greifenden Aspekten tiefer Verlusterfahrung.
Die Größe deines Verlusts verdient jede Anerkennung. Du selbst weißt um die überragende Bedeutung des Geschehenen. Es wird dich bis zum Rest deiner Tage begleiten, es ist Teil von dir und transformiert dein Leben. Andererseits wirst du dich von der Größe und Heiligkeit der Verlustsituation mit der Zeit verabschieden müssen. Du kannst nicht ständig im Hochgebirge deiner Trauer verweilen. Dort vereinsamst du und gehst zugrunde. Erlaube dir wieder in die Niederungen des genügsamen Lebens herabzusteigen. Das tut anfangs weh und ist manchmal schwer auszuhalten. Aber traue dich wieder in die Ruhe und Gelassenheit des unbedeutenden Lebens einzutauchen. Übe die einfachen Dinge des Lebens.
Wenn du dir wieder Momente des Müßiggangs erlaubst, bist du auf dem richtigen Weg.