Es ist eine Bank weit oben am Hang. Auf einer der ersten höheren Kuppen über dem See. Der Blick kann hier weit schweifen. Unten das tiefdunkle Wasser mit Glitzerspuren und sanften Wellenlinien, die sich hinter einem größeren Segelboot oder den kleinen Dampfern bilden. Über die Dächer der von hier oben wie Spielzeug wirkenden Ortschaften. Einzelne freistehende Höfe wie kleine Bauernschlösser mit Wiesen, Weiden, Obstbäumen, Tieren rundherum. Und sogar die vollen Straßen wirken von hier oben ganz leise. Man hört stattdessen: Glockenläuten.

Es ist ein Ort, den man gerne aufsucht. Wer den immer steileren Weg hochkommt und den Aussichtsplatz schon länger vor Augen hat, freut sich schon aufs Sitzen auf der Bank. Und nach einer längeren Tageswanderung, müde und oft ein wenig verschwitzt, legt man hier gern noch eine letzte Rast ein. Zum Durchatmen, wegen des Blicks. Und wegen der Ruhe und Entrücktheit – bevor es zurück in den Trubel da unten und dann wieder heim geht.  

Auch für uns beide war genau diese Bank immer wieder ein schönes Ziel, auf das wir uns freuten. Ich ging gern mit dir spazieren. Seite an Seite mussten gar nicht viele Worte fallen. Und meist war es ja doch ich, der sprach und erzählte. Viel zu oft von mir selbst. Aber an der Bank sollte sich das ändern. Dann konnten wir nebeneinander sitzen. Gemeinsam schauen. Deine Worte kamen dann wie von selbst.

Zuletzt war es doch ganz anders. Die Bank war da wie immer. Der Blick schön wie jedes Mal, selbst wenn es finster war über dem Tal und die Wolken tief und dunkel hingen. Und doch war es neu für mich, dass nur noch ich zum Sitzen kam. Du bliebst einfach stehen. Neben mir. Ich brauchte erstmal Zeit, um durchzuatmen, anzukommen, mit den Augen die üblichen Perspektivpunkte in der Ferne, im Tal und bei den einzelnen Lieblingsorten abzusuchen. Erst dann fiel mir auf, dass du dich wirklich nicht mehr setzen wolltest. Und dass auch dein Blick gar nichts suchte. Sondern ganz nah bei uns blieb. Anderes war wichtig. Die Aussicht sicher nicht mehr.

Monate sind vergangen. Und das, was mich damals verwirrte, wurde dann doch immer klarer. Es waren Geschenke. Rituale. Abschiede. Und unsere Spaziergänge waren wichtige Zeit, die wir noch zu zweit verbringen sollten. Dass sie Orte ansteuerten, die uns besonders waren, half dabei. Es ging dir aber nicht um Ausblicke. Und auch nicht ums Hinsetzen. Es ging darum, dass wir noch einmal zu zweit waren.

Ich saß und sitze noch heute immer wieder auf unserer Bank. Du wolltest damals lieber stehenbleiben. Wie ein Mensch, der noch wohin muss. Der im Inneren vielleicht schon ganz wo anders war.

Schmerzt das nun besonders? Ja. Und nein. Ich komme weiterhin gerne zu der Bank. Sie ist einer unserer schönsten gemeinsamen Orte. Wenn ich dort sitze, fühle ich mich nicht allein. Bald komme ich wieder.

Rupert Sommer

 
Zurück
Zurück

Ein Jahr VIVAS

Weiter
Weiter

Die Bücher meiner Schwester – „Geschichten, die berühren“