Die Bücher meiner Schwester – „Laufen“

 

… einen Roman zu lesen konnte ich mir nach meinem Verlust nicht mehr vorstellen. Da erreichte mich ein Päckchen meiner Schwester Gudrun…

Laufen

Und wieder hat meine Schwester ein Buch für mich entdeckt, das ich nur schwer zur Seite legen konnte…

Auch in dem Roman „Laufen“ von Isabel Bogdan (Kiepenheuer & Witsch Verlag 2019, als Hörbuch auf Spotify) geht es um Verlust und Trauer. Die Autorin, Übersetzerin englischsprachiger Literatur und Bloggerin, hat als Schriftstellerin bislang eher das heitere Fach bedient. Und nun dieser harte und zugleich einfühlsame Roman!

Weglaufen, aber wohin?

Die namenlose Ich-Erzählerin, Orchestermusikerin in Hamburg, ringt nach dem Suizid ihres Partners um ihr seelisches Überleben, versucht Abstand vom Unfassbaren zu finden – und beginnt zu laufen. Zunächst atemlos und unter körperlichen Schmerzen versucht sie wegzulaufen vor ihren Seelenqualen, um irgendwann wieder wohinlaufen zu können. So drückt sie es selbst aus.

Auf ihren allmählich länger werdenden Runden entlang der Alster wendet sich die Erzählerin immer wieder an ihren verstorbenen Partner. Und nimmt mich in ihrem Atemrhythmus in den Strom ihrer Gedanken und Gefühle mit. Da sind Sehnsucht und Liebe, durchwebt von Alltagserinnerungen, aber auch Schmerz, Wut, Schuldgefühle, Einsamkeit und der Wunsch nach Nähe. Alles erzählt in einer kitschfreien Sprache.

Ich finde mich in ihrem kräftezehrenden Alltagsleben und ihrer Schlaflosigkeit wieder und erfahre von den Reaktionen ihres Umfeldes. Die reichen von Hilflosigkeit bis hin zu „aufmunternden“ Ratschlägen. Aber da gibt es auch die feste Struktur im Orchester, die beste Freundin, einen treuen kleinen Freundeskreis und eine Therapeutin, die der Erzählerin hilfreich zur Seite stehen. Und immer wieder bricht sich ihr grimmiger Humor Bahn.

Schritt für Schritt

Die Selbstreflexionen sind schmerzhaft, die Erzählerin dreht sich im Kreis und doch - langsam, ganz langsam wird der Rhythmus des Romans ruhiger und es stellen sich Veränderungen ein: die Erzählerin wird nicht nur körperlich fitter, sondern beginnt allmählich wieder Pläne zu schmieden und Neues anzugehen. Sich über kleine Dinge zu freuen. Lässt einen Mann vorsichtig tastend in ihr Leben. Schritt für Schritt gewinnt sie Land und behält dabei ihren verstorbenen Partner bei sich. Mir hat das Mut gemacht.

In Verbindung

Dass die Ich-Erzählerin Orchestermusikerin ist wie meine Schwester, ist purer Zufall. Doch ich entdecke so manches aus Gudruns Erzählungen über ihr Berufsleben im Buch wieder. Was für eine schöne Verbindung zwischen ihrer und meiner Welt! Eine Verbindung, die über den schweren Verlust hinweg hält und die ich immer ganz besonders spüre, wenn meine Schwester wieder mit offenen Augen besondere Bücher für mich auftut.

Birgit Kröniger

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Die Bücher meiner Schwester – „Marianengraben“